Annemarie Stein ist Diplom-Psychologin und ganzheitliche Ernährungsberaterin. 2018 wurde sie mit der Profimannschaft von Eintracht Frankfurt DFB-Pokalsiegerin. Im Interview erklärt die Ernährungsexpertin unter anderem, welches Obst sie Sportler*innen empfiehlt und wie sie zu Nahrungsergänzungsmitteln steht.
- Wie hast du während deiner Zeit bei Eintracht Frankfurt Einfluss auf die Ernährung der Spieler genommen?
In der Zeit als Ernährungsberaterin von Eintracht Frankfurt habe ich die gemeinsamen Mahlzeiten geplant. Das hieß, in
einer normalen Woche: An den Trainingstagen Frühstück und Mittagessen im Verein, am Wochenende die Gestaltung des Buffets im Hotel, der Verpflegung im Stadion und auf Reisen. Auch die Versorgung mit Getränken rund um Training und Spiel war meine Aufgabe.Dabei habe ich gemerkt, dass beispielsweise Milchreis am Vorabend eines Spiels oder Nudeln kurz vor einem Spiel über die Jahre zu einem festen Ritual geworden sind. Hier galt es, mit Aufklärung und leckeren alternativen Produkten gesündere Varianten einzuführen.
- Was und wann sollten Fußballer*innen in der Saisonvorbereitung, während der Saison vor und nach Spielen essen?
Das ist eine sehr komplexe Frage, die von vielen Faktoren abhängt und sehr individuell ist. Die Ernährung sollte der Trainingsintensität und -art angepasst sein und den besonderen Voraussetzungen des Spielers. Generell gilt, dass Nahrung möglichst wenig schaden, stattdessen möglichst viele Mikronährstoffe und gesunde Makronährstoffe liefern soll.
- Wie ist ein Zusammenhang zwischen Verletzungen und der Ernährung zu erklären?
Unsere Nahrung dient dem Körper zum Aufbau und zur Reparatur von Strukturen, zur Energiegewinnung, zur Stärkung des Immunsystem und zu zahlreichen anderen körperlichen Prozessen. Da ist es einleuchtend, dass der Bedarf an Mikronährstoffen und hochwertigem Protein bei einem Sportler erhöht ist. Ist in den Lebensmitteln allerdings zu wenig Nützliches enthalten, bleiben Reparatur- und Wachstumsprozesse auf der Strecke. „Don’t eat your structure, feed your structure!“ Außerdem sorgen zu viel Zucker und Weißmehl zusätzlich für die Entstehung von Entzündungen.
- Kann Natural Eating vorteilhaft für die Regeneration sein?
Natural Eating beschreibt das naturgemäße Essen. Unsere Körper sind den hohen Konsum von verarbeiteten Lebensmitteln nicht gewohnt, der heutzutage fast schon normal ist. Stattdessen können wir mit der Wahl der richtigen Lebensmittel die tief in uns verankerten Selbstheilungskräfte aktivieren. Entzündungshemmende und mikronährstoffreiche pflanzliche Nahrung mit einem hohen Anteil an Gemüse, Blattgrün, Gewürzen, Kräutern, Saaten und „good carbs“ aus Pseudogetreide und Hülsenfrüchten, kombiniert mit Protein und Fett aus qualitativ hochwertigen Quellen. Diese Nahrung hilft dem Körper, sich schnell wieder zu regenerieren.
- Welches Obst und Gemüse empfiehlst du Profifußballern?
Heutzutage enthält unser Obst leider immer weniger sekundäre Pflanzenstoffe, Vitamine und Mineralstoffe. Stattdessen ist sehr viel Fruchtzucker enthalten, den wir mittlerweile sehr kritisch betrachten. Deshalb besser zu Beeren greifen. Sie haben nachgewiesenermaßen tolle Effekte auf die Regeneration. Beim Gemüse gilt: Hauptsache viel und bunt. In meinen Kinderprojekten sage ich immer: „Iss dich durch den Regenbogen.“ Dabei sollte vorzugsweise das gegessen werden, was gerade Saison hat. Und bitte immer individuelle Unverträglichkeiten beachten.
- Welches Lebensmittel wird häufig unterschätzt als Energie-, Vitamin- oder Mineralienlieferant?
Wenn wir uns noch einmal die Ernährung unserer Vorfahren anschauen, ist es ganz leicht, unterschätzte Lebensmittel zu identifizieren. Allen voran stehen die Wildkräuter, die einen Großteil der Ernährung unserer Vorfahren ausmachten. Sie übertreffen unser Kulturgemüse in Sachen Mikronährstoff- und Proteingehalt um Längen! Und noch dazu sind sie überall um uns herum verfügbar. Wenn wir wissen, wo wir sammeln können, müssen wir uns einfach nur noch bedienen.
- Welches Fleisch und wie viel davon sollte ein Profifußballer*innen essen?
Es scheint, das vieldiskutierte Fleisch spaltet Experten und Laien. Die einen schätzen es als Protein- und Genussquelle, die anderen verzichten aus verschiedenen Gründen komplett darauf. Auch hier hilft der Blick in die Vergangenheit. Natürliches Fleisch von Wildtieren gehörte, hauptsächlich im Winter, zur Ernährung des Menschen. Allerdings sind heutzutage Menge und Qualität in ein Ungleichgewicht gekippt. Bei uns Deutschen landet täglich minderwertiges Fleisch aus Massentierhaltung auf dem Teller. Bei einem Sportler sorgt das beispielsweise für eine erhöhte Entzündungsneigung. Es gilt also: Qualität über Quantität! Zwei Mal pro Woche ein Produkt aus Bio-Weidehaltung ist absolut ausreichend. Ganz ohne Fleisch zu leben, ist für einen Profifußballer aber auch kein Problem. Hier kann der Ernährungsberater alternative Lebensmittel empfehlen, die den Nährstoffbedarf genauso gut decken können.
- Was hältst du von Nahrungsergänzungsmitteln für Profifußballer*innen?
Aufgrund von nährstoffarmen Böden, der Ernte von unreifen Früchten, langen Transport- und Lagerzeiten, aber auch aufgrund von Resorptionsproblemen im Darm, gelangen heutzutage immer weniger Mikronährstoffe in den Körper. Da besonders Sportler einen erhöhten Bedarf haben, ist es sehr schwierig, diesen ausschließlich über die Ernährung zu decken. Da beispielsweise Meeresfische stark mit Schwermetallen und Mikroplastik belastet sind, kommt der Sportler nicht drum herum, seinen Bedarf an den essentiellen Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA über ein Präparat zu decken. Generell gilt aber, nicht ins Blaue hinein zu supplementieren. Ich empfehle eine Mikronährstoffanalyse, die Mängel aufdeckt und Grundlage für eine bedarfsorientierte Ernährungsstrategie und Nahrungsergänzung bildet.
Annemarie Stein; Sky; mst