Schalke sucht seinen fünften Trainer in der laufenden Saison, in Bielefeld wird der kürzlich noch gefeierte Aufstiegstrainer entlassen. Im Interview mit www.sportschau.de erklärt Lutz Hangartner, Präsident des Bundes Deutscher Fußballlehrer (BDFL), warum sich die Bundesligaklubs seiner Meinung nach auf dem Holzweg befinden.

Sportschau: Herr Hangartner, in Bielefeld trennt man sich vom Aufstiegstrainer, auf Schalke ist ein regelrechtes Trainer-Chaos ausgebrochen. Gefühlt wackeln die Trainerstühle gerade bei vielen Bundesligisten. Was ist los in der Bundesliga?

Lutz Hangartner: Wir müssen von Seiten des Bundes Deutscher Fußballlehrer den Finger heben, wenn wir solche Entwicklungen beobachten. Denn sie sind natürlich alles andere als gut. Wenn bei der kleinsten sportlichen Krise gleich stets der Trainer rausgeworfen wird, ist das von Seiten der Vereinsführung in den meisten Fällen nichts anderes als Aktionismus. Man möchte nach außen hin demonstrieren, alles im Sinne des Vereins versucht zu haben. In Wirklichkeit soll die Trainerentlassung aber eher von den eigenen Fehlern in der Vereinsführung ablenken.

Sportschau: Vereine sprechen dann gern von neuen Impulsen, die man mit einem Trainerwechsel setzen will. Verständlich?

Hangartner: Damit wir uns recht verstehen: Wir hier beim BDFL sind nicht blauäugig. Wenn im Frühjahr – nach einem Großteil der Saison – ein Team im Abstiegskampf hängt und unter Druck steht, kann ein Trainerwechsel ein probates Mittel sein, um noch einmal neuen Schwung zu bringen. Was wir aber kritisieren, sind die Menge und vor allem die Zeitpunkte der Trainerentlassungen. Wir hatten in dieser Spielzeit schon nach zwei Spieltagen die ersten beiden Fälle, als Achim Beierlorzer in Mainz und David Wagner auf Schalke entlassen wurde. Niemand kann nach zwei Spieltagen ernsthaft behaupten, eine Fehlentwicklung zwischen Trainer und Mannschaft erkennen zu wollen.

Sportschau: Was bringen Trainerwechsel?

Hangartner: Es gibt mittlerweile viele wissenschaftliche Untersuchungen, die belegen, dass die 'Rauswurfkultur', die im Profifußball Einzug gehalten hat, keine positiven Resultate bringt. Dort, wo längerfristig mit den gleichen Leuten gearbeitet wird, ist größerer sportlicher Erfolg. Untersuchungen haben ergeben, dass die Vereine, in denen nur wenige Führungskräfte mit sportlichem Fachwissen das Sagen haben, die größten Erfolge haben. Nur gibt es in der Bundesliga immer weniger von diesen Konstellationen.

Sportschau: Schalke sucht nunmehr den fünften Trainer in der laufenden Saison.

Hangartner: Das ist natürlich völlig sinnfrei und für ein Wirtschaftsunternehmen, das ein Bundesligaklub heutzutage ist, auch unwahrscheinlich kostspielig. Da werden ja nicht nur der Trainer, sondern auch sein ganzer Staff ausgewechselt. Das ist unglaublich teuer - ohne der Wurzel des Übels damit näher zu kommen. Schalke ist ein super Beispiel für einen Fall schlechter Personalplanung seitens des Managements. Da ist ein Spielerkader zusammen von einem Haufen guter Einzelspieler, von Ich-AGs. Die Mannschaft ist kein Team. Da will keiner für den anderen die Drecksarbeit auf dem Platz übernehmen. Ein Trainer soll dann den Kopf hinhalten für die schlechte Planung des Managements.

Sportschau: Wie ist der Fall in Bielefeld zu beurteilen? Trainer Uwe Neuhaus, der noch vor einem halben Jahr als Aufstiegstrainer gefeiert wurde, soll jetzt nicht mehr gut genug sein?

Hangartner: Ich muss vorsichtig sein, weil ich keine Interna aus Bielefeld kenne. Aber rein von außen betrachtet ist auch diese Trainerentlassung völlig unverständlich. Bielefeld hat sehr überraschend den Sprung in die Bundesliga geschafft. Und anstatt die Sache demütig und realistisch anzugehen - weil man ja finanziell deutlich weniger zu bieten hat als die Konkurrenz - verliert man nun im Abstiegskampf anscheinend die Nerven und wechselt den Trainer. Was soll das bringen?

Sportschau: Wie ist die Rückmeldung der Trainer im Verband? Haben die überhaupt noch Freude an ihrem Job?

Hangartner: Wir treffen uns mit allen Trainern der 1. und 2. Bundesliga zweimal im Jahr. Da tauschen wir uns natürlich über solche Thematiken aus. Es ist mittlerweile so, dass jeder Bundesligatrainer weiß, auf was er sich da einlässt. In den Verträgen sind ja zumeist auch schon die Beträge fest verankert, die im Fall der vorzeitigen Entlassung fällig werden. Von daher gehen die Trainer grundsätzlich mit dieser Thematik recht routiniert um.

Sportschau: Weil sie ja auch sozusagen durch die üppigen Abfindungen weich fallen?

Hangartner: Die Öffentlichkeit denkt immer, man sei als Trainer auch bei einer Entlassung auf Rosen gebettet und alles sei damit auch gut und der Trainer beneidenswert. Allzu oft wird bei diesen Beurteilungen vergessen, dass auch Trainer nur Menschen sind, die durchaus eine empfindliche Gefühlswelt haben. Wie heutzutage in der Öffentlichkeit - vor allem in den sozialen Medien - mit dem Mensch Trainer umgegangen wird, ist absolut nicht akzeptabel.

Sportschau: Haben wir es hier mit einem rein deutschen Phänomen zu tun? Oder wird auf der ganzen Welt mittlerweile derartig mit Fußballlehrern umgesprungen?

Hangartner: Das ist im Ausland nicht groß anders. Ich würde sagen, dass wir es hier mit einer weltweiten gesellschaftlichen Fehlentwicklung zu tun haben.

Das Gespräch führte Olaf Jansen.

Quelle: www.sportschau.de

md/02.03.2021