Was machen eigentlich die U-Nationaltrainer in der Corona-Zeit? Sie können weder Spiele sichten, noch ihre Lehrgänge vorbereiten und durchführen, oder? Und bis wieder auf Nationalmannschaftsebene gespielt wird, dauert es ja bestimmt noch ewig, oder? Verzichten sie eigentlich auch auf Gehalt so wie Joachim Löw und Oliver Bierhoff? Meikel Schönweitz, Cheftrainer der U-Nationalmannschaften, erklärt nachfolgend, wie die Coaching-Teams die Corona-Zeit nutzen und welche konzeptionellen Schwerpunkte derzeit auf der Tagesordnung stehen, um den DFB-Nachwuchs noch besser aufzustellen.

Zu Beginn der Corona-Krise – das war im Februar und März – haben wir uns sehr schnell darauf eingestellt, dass zahlreiche DFB-Maßnahmen ausfallen werden und einen Plan erstellt, wie wir die Zeit nutzen wollen. Wir waren der festen Überzeugung, dass wir das augenscheinlich Negative für uns in etwas Positives umwandeln werden. Wir nahmen uns vor, Projekte aufzugreifen und voranzutreiben, die aufgrund unserer vielfältigen Aufgaben schlichtweg liegengeblieben sind. Zunächst einmal sollte aber erklärt werden, was eigentlich die Aufgabe eines U-Trainers beim DFB ist. Das Rollenverständnis hat sich nämlich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt.

Die Kernaufgabe ist die Eliteförderung

Natürlich ist es die Aufgabe eines Nationaltrainers, viele Spiele zu sichten, eine Kaderauswahl zusammenzustellen und diese auf Länderspiele und internationale Wettbewerbe vorzubereiten sowie dort zu betreuen. Auf all diesen Ebenen wird sichtbare Eliteförderung betrieben. Die Ausbildung findet aber in den Förderstrukturen – Leistungszentren, Amateurvereinen, Stützpunkten, Landesverbandsauswahlen, Schulen etc. – statt. Und diese gilt es, genauso zu fördern. Ziel muss es sein, dass die Spieler auf einem noch besseren Level überhaupt zur U-Nationalmannschaft kommen. Also ist es auch die Aufgabe der U-Nationaltrainer, das ganze Wissen, das sie sich aneignen, wieder an alle Beteiligten im System weiterzugeben. Das geschieht unter anderem durch einen intensiven Austausch mit Verbänden und Vereinen, Vorträge in der Trainerausbildung und öffentliche Auftritte. Unsere U-Trainer gewinnen nun einmal durch die Arbeit mit den besten Spielern Deutschlands und die internationalen Vergleiche, durch Benchmarking und Hospitationen, durch zahlreiche Fort- und Weiterbildungen, durch Spielbeobachtungen und Austausch mit allen Förderinstitutionen sowie durch den Input der DFB-Akademie zahlreiche Erkenntnisse. Diese teilen wir, damit der deutsche Fußball insgesamt weiterkommt.

Jeder ist Treiber eines Projekts

Damit sind wir bei den Projekten in der Corona-Zeit angelangt. Jeder Trainer ist Treiber eines Projekts, teilweise sogar von zwei oder drei Projekten, und unterstützt gleichzeitig auch noch die anderen Kollegen. Jede Projektgruppe wurde zusammengestellt aus teilweise dem Co-Trainerstab, den Frauen-Nationalmannschaften, der DFB-Akademie, aber auch externen Experten. In diesen Projektgruppen werden unter anderem Themen behandelt wie eine Ausweitung der Individualisierungsprozesse. Ein spezifisches Torwart- und ein Stürmerprogramm gibt es bereits, hinzu wird ein weiteres für Verteidiger und Mittelfeldspieler kommen. Die Themen "Vereinbarung von Schule und Leistungssport" werden forciert, aber auch allgemeingültige Themen wie die Messbarkeit von Trainerleistungen sowie Teilaspekte des "Projekts Zukunft".

Darüber hinaus ist auch die tägliche Arbeit und die Kompensation von ausgefallenen DFB-Lehrgängen sowie -Maßnahmen zu bewältigen. Alle Trainer stehen in regelmäßigem Kontakt mit ihren Spielern und ihrem Funktionsteam. Hierbei werden immer wieder Angebote geschaffen. So absolvierte die U19 zum Beispiel ein Medientraining auf digitale Weise, interessante Gesprächspartner wurden für Online-Talkrunden eingeladen, Mediziner, Psychologen und Experten der DFB-Akademie stehen den Teams zur Verfügung.

Auch die ausgefallenen Sichtungsturniere werden kompensiert. Ein Beispiel: Das U 16-Sichtungsturnier hätte im Mai auf dem Plan gestanden. Da nun nicht vor Ort gesichtet werden konnte, wurden alle 21 Landesverbände und 57 Leistungszentren um Einschätzungen der Spieler gebeten. Welche Spieler wären dabei gewesen? Wie sieht deren aktuelle Entwicklung aus? Wer könnte aktuell und auf Sicht zu den U-Nationalmannschaften stoßen? Dafür wurden mit allen beteiligten Trainern Videocalls vereinbart – das sind weit über 70 Telefonate. Meist mit einer Dauer von mindestens 30 Minuten pro Gespräch. Rechnet man dies zeitlich zusammen – inklusive Vor- und Nachbereitung dieser Gespräche –dann steht am Ende wesentlich mehr Zeitaufwand zu Buche als die sechs Tage vor Ort bei einem Sichtungsturnier.

Solidarität mit allen Förderstrukturen zeigen

Natürlich beschäftigt uns auch das Thema der Solidarität. Die Anzahl der internen Sitzungen hat sich erhöht, umso enger ist auch die Abstimmung des U-Trainerteams. In zwei Punkten waren wir uns schnell einig: Wir möchten Solidarität gegenüber den weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des DFB zeigen, daher wurde proaktiv ein prozentualer Gehaltsverzicht angeboten. Wir möchten Solidarität mit allen Förderstrukturen zeigen, daher wurde ein wöchentlicher Videochat mit Amateurtrainern aus ganz Deutschland eingerichtet, der nun auch über die Corona-Zeit hinaus in monatlichem Abstand fortgesetzt wird. Auch die #HERZZEIGEN-Aktionen der U-Nationalmannschaften wurden teils online durchgeführt. So besuchte unter anderem die U21 ein Altersheim in Wolfsburg.

Man sieht, den U-Trainern wird es auch ohne Länderspiele und Sichtungen nicht langweilig. Wir treiben den deutschen Fußball auch in dieser Zeit bestmöglich voran und versuchen, an verschiedenen Stellen zu unterstützen. Dennoch können auch wir es kaum erwarten, wenn der Ball auf allen Ebenen endlich wieder rollen darf.

Quelle: www.dfb.de

md/27.05.2020