Am Wochenende ist es endlich soweit: Die beiden Fußball-Bundesligen nehmen den Spielbetrieb wieder auf. Die Politik hat mit ihrer Entscheidung am 6. Mai dem Profifußball die Tür geöffnet, um die Saison 2019/2020 mit „Geisterspielen“ beenden zu können. Dieser Entscheidung liegt das umfangreiche und international vielbeachtete Hygiene-und Sicherheitskonzept der DFL zugrunde. BDFL-Präsident Lutz Hangartner nimmt im nachfolgenden Interview hierzu genauso Stellung wie zur Wiederaufnahme des Trainingsbetriebs im Freizeit- und Breitensport.
www.BDFL.de: Herr Hangartner, wie sehen Sie die Entscheidung der Politik zur Wiederaufnahme des Spielbetriebs und welche Erwartungen haben Sie an die nächsten Wochen im deutschen Profifußball?
Lutz Hangartner (LH): Bei dieser Entscheidung schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Als Fußballer begrüße ich die Entscheidung der Bundesbehörden, der DFL und der Vereine, die Saison 2019/2020 zu Ende zu führen. Viele Fußballfans werden glücklich sein, dass die fußballlose Zeit endlich zu Ende geht und zumindest „Geisterspiele“ zu sehen sein werden. Auf der anderen Seite bin ich mir bewusst, dass diese „Vorreiterrolle“ des deutschen Profifußballs von vielen Seiten heftig kritisiert wird. Ich habe Verständnis für die vorgebrachten, unterschiedlichen Argumente gegen die Fortführung der Spiele. Es ist ohne Zweifel ein gewagtes „Experiment“. Im Interesse des deutschen Fußballs können wir alle nur hoffen, dass dieses gelingen wird.
www.BDFL.de: Ist nach dieser langen Unterbrechung mit regional sehr unterschiedlichen Trainingsbedingungen und ohne Vorbereitungsspiele ein gerechter Wettbewerb überhaupt möglich?
LH: Die Mannschaften gehen leider nicht alle aus der gleichen Ausgangsposition in die restlichen Spiele, da einige Vereine aufgrund der Bestimmungen im jeweiligen Bundesland früher als andere Mannschaften vom Training in Kleingruppen zum richtigen Mannschaftstraining übergehen konnten bzw. auch offensichtlich schon früher als erlaubt übergegangen sind.
www.BDFL.de: Wie sind Ihrer Ansicht nach die Profitrainerkollegen in den sicherlich nicht ganz einfachen letzten Wochen mit Ihren Aufgaben als Trainer umgegangen?
LH: Die Trainer haben sich plötzlich in einer nicht vorhersehbaren und schwierigen Situation befunden. Kein Mannschaftstraining, Home-Fitnesstraining der Spieler nach Anweisung, kein direkter Kontakt mit den Spielern, Training nur in Kleingruppen. Die ganzen Aufgaben, die ein Trainer Woche für Woche unter normalen Bedingungen zu erfüllen hat, konnte er unter den extremen Bedingungen der Corona-Krise nicht erbringen. In bin der Meinung, dass unsere Trainerkollegen diese Herausforderung angenommen und das Beste aus der außergewöhnlichen Situation gemacht haben.
www.BDFL.de: Welche konkreten Herausforderungen warten auf die Bundesligatrainer in den kommenden Wochen?
LH: Die Trainer sind in den nächsten Wochen in einem viel höheren Maße als sonst gefordert. Neben den normalen Aufgaben des Coachings in der Trainingswoche und im Spiel, können durchaus „coronabedingte“ Auswirkungen Einfluss auf die Arbeit des Trainers und auf den gesamten Club nehmen. Wir sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht in der Lage, zu beurteilen, welche Probleme unter bestimmten Umständen auf unsere Trainerkollegen in der nahen Zukunft zukommen können.
www.BDFL.de: Die Vereine werden am Wochenende nach knapp einer Woche Mannschaftstraining wieder den Spielbetrieb aufnehmen. Wie schätzen Sie die Verletzungsgefahr für die Spieler in den kommenden Wochen ein?
LH: Es gibt viele Experten, vor allem Trainingswissenschaftler, die befürchten, dass durch die fehlende systematische Vorbereitung und durch die verspätete Möglichkeit, Zweikämpfe wettkampfgemäß zu trainieren, vermehrt Verletzungen auftreten werden. Die Spiele werden zeigen, ob diese Prognosen eintreffen werden.
www.BDFL.de: Auch im Freizeit- und Breitensport ist seit ein paar Tagen in nahezu allen Bundesländern der Trainingsbetrieb unter Einhaltung der Hygienevorschriften und der Abstandsregelung wieder möglich. Wie wichtig ist dieser Schritt für die unzähligen Spieler im Senioren- und Juniorenbereich?
LH: Das ist ein sehr wichtiger Schritt, denn der Fußball stellt sowohl im Senioren- und vor allem im Jugendbereich einen unschätzbaren und nicht zu ersetzenden gesellschaftlichen Faktor dar. Es ist zu hoffen, dass die Lockerungen nicht zu früh erfolgt sind und möglicherweise wieder zu einem „Lockdown“ führen werden. Ich wünsche allen von Herzen, dass sie bald wieder ohne Einschränkungen ihr geliebtes Fußballspiel ausüben und der schönsten Nebensache der Welt nachgehen können.
www.BDFL.de: Inwiefern stellt die Rückkehr zum eingeschränkten Trainingsbetrieb im Amateurfußball und zum Spielbetrieb im Profifußball einen Schritt in Richtung „Normalität“ dar?
LH: Etliche Fachleute aus dem Gesundheitssektor weisen immer wieder darauf hin, dass wir alle immer noch viel zu wenig über das Covid-19-Virus und dessen Auswirkungen wissen. Deshalb kann niemand seriös prognostizieren, wie der Profi-und Amateurfußball in der Zukunft aussehen werden. Ich glaube, dass wir noch lange nicht von „Normalität“ sprechen können, denn die Coronavirus-Pandemie wird auch in naher Zukunft sowohl unser gesellschaftliches und privates Leben als auch unseren geliebten Fußball erheblich beeinflussen.
md/15.05.2020