Gießener Anzeiger (GA): Die deutsche Nationalelf ist in der Vorrunde ausgeschieden. Und einer der Vorwürfe lautet, beim DFB werde zu schlecht ausgebildet...
Dirk Reimöller (DR): Mich stört grundsätzlich, dass auf einmal alles wieder herangezogen wird, was alles nicht gut sein soll und alles nicht stimmt. Übrigens all das, was auch gerne mal gelobt wird, wenn’s gut läuft. Die Mannschaft hat in Katar aus ihren Chancen zu wenige Tore gemacht und in der Abwehr zu leichte Tore bekommen, das sind die Fakten. Und dann fliegt man raus aus einem Turnier. Wenn ich das mit 2014 vergleiche, war es dort gegen Algerien auch nicht besser. Um Haaresbreite wären wir rausgeflogen, dann hätten wir die gleiche Diskussion gehabt wie heute. So wurden wir Weltmeister und alles wird verklärt. Es gibt auch Kleinigkeiten, die über Wohl und Wehe entscheiden.
GA: Es war aber nicht alles gut bei dem Turnier...
DR: Nein, natürlich nicht, aber es ist sehr deutsch, jetzt wieder eine solche Schreierei anzufangen. Wir haben vielleicht momentan positionsbezogen keine Weltklassespieler, sondern nur mittleres bis gehobenes Niveau. Aber es sind ordentliche Fußballer mit einem meines Erachtens guten Trainerteam. Aber man war dort nicht jederzeit auf das konzentriert, um was es eigentlich geht. Da ist es aber zu einfach, dann wieder die Ausbildung heranzuziehen.
GA: Sondern?
DR: Man muss sich die Bundesliga mal anschauen. Ich habe das jetzt nicht zahlenmäßig verifiziert, aber ich würde schon mal hinterfragen, ob in den Bundesligavereinen überall die deutschen Talente auch adäquat spielen und eingesetzt werden. Die Liga hat ein gutes Niveau, aber oft wird dem kurzfristigen Erfolg doch mit Zukäufen auf die Sprünge geholfen. Auch der Schritt, die Amateurmannschaften abzuschaffen, war ein Fehler. Zudem ist die Frage, ob sich heute viele Talente noch durchsetzen wollen und können, weil es eben ein sehr steiniger Weg ist. Oft heißt es dann, ich höre lieber auf. Durchbeißen ist nicht mehr so angesagt, da ist der Sport auch ein Spiegelbild der Gesellschaft.
GA: Und der DFB macht alles richtig?
DR: Natürlich nicht, das geht ja gar nicht. Aber es wird eine Menge getan. Die Trainerausbildung wurde reformiert. Da gehe ich auch nicht mit allem konform, weil es mir zu digital-lastig ist. Mit Online-Vorphasen, oder dass Teilnehmer Videos ihres Trainings für das Feedback hochladen. Ich habe da für mich beschlossen, zu den B-Lizenzanwärtern auch hinzufahren, mir das vor Ort anzuschauen, die Leute zu besuchen. Der Mensch ist mir wichtig. Das wird oft vergessen vor lauter Digitalisierung. Man darf aber insgesamt sicher sein, dass zum Beispiel in den U-Nationalmannschaften schon darauf geachtet wird, gut auszubilden. So setzen sich die Trainergruppen aus einem digital-affinen jungen Trainer, einem alten Taktikfuchs und einem Coach zusammen, der Positionsprofile entwickelt. Und die sehen natürlich, wo man welche Spieler braucht und bilden dementsprechend aus. Nein, da wird wirklich einiges getan. Auch wenn ich manche Marketingstrategie oder -kampagne selbstverständlich auch fragwürdig finde.
GA: Das erklärt aber nicht, warum Deutschland drei Turniere hintereinander sehr früh aus dem Rennen war?
DR: Das stimmt, das muss man auch gut analysieren, aber seit dem Ausscheiden gibt es ja nichts anderes mehr, als möglichst laut kundzutun, woran es gelegen hat. Da wissen aus der Ferne ganz viele auf einmal Bescheid. Ich nehme mal das Spiel Japan gegen Spanien: Stellen wir uns vor, der Ball vor dem 2:1 für Japan wäre einen Zentimeter weiter im Aus gewesen, der Schiedsrichter hätte es erkannt, Deutschland wäre weitergekommen und hätte dann das Achtelfinale überstanden. Dann würden wir heute davon sprechen, wie gut wir gegen Spanien waren, dass wir einen Blackout gegen Japan hatten und Costa Rica Glück gehabt hätte, nicht höher verloren zu haben. Dann würden wir vielleicht noch über die nachlässige Abwehr schimpfen. Aber so ist das eben, alles ist schwarz oder weiß. Aber so einfach ist das alles nicht.